Gilles Berthoud Marie Blanque testbericht
Heute geht es mal wieder um meine Lieblingskomponente an Gravelbikes: der Sattel. In der Vergangenheit habe ich bereits “reguläre” Sattel, wie z.B. den Ergowave von SQ Lab, aber auch das Neuste, was der 3D-Drucker hergibt, nämlich einen gedruckten Sattel - den Spezialized Power Mirror getestet. Um das Terzett zu vollenden, war es mir wichtig auch die klassischste Form des Fahrradsattels und der Sattels allgemein zu testen, einen Ledersattel. Wie sich dieser schlägt, könnt ihr gerne im Anschluss lesen.
Technische Daten:
Preis 210€ (26.12.22 Berthoud Cycles), 265 € in der Titan Rail Version (selber gekauft)
Gewicht 445g (in der Variante mit Edelstahlstreben), 385g (in der Titan Variante)
Größe 157 mm
Länge 248 mm
Ledersattel sind so alt wie die Zeit und brauchen eigentlich keine wirkliche Einleitung. Jeder ist wahrscheinlich schon mal auf etwas Bequemen aus Leder gesessen, z.B. einem Sessel, Sofa oder vielleicht auch auf einem Sattel auf dem Rücken von einem Pferd. Das macht auch Sinn! Dies hat nämlich den Vorteil, dass es sich an den Allerwertesten seines Benutzers mit der Zeit anpasst.
Da das Fahrrad in einer Zeit entstand in der Pferde noch das primäre Fortbewegungsmittel waren, ist es kein Wunder, dass auch die Sattel der ersten Fahrräder aus Leder waren. Wie für den frühen Bikepacker, wie rechts auf dem Bild aus dem frühen 20. Jahrhundert.
Es gibt viele Hersteller für Sattel aus Leder, aber für mich haben die Sattel von der französischen Marke Berthoud Cycles immer etwas Besonderes gehabt. Sie sind mir öfters bei Custom Aufbauten und bei vielen klassischen Randonneur Bikes aufgefallen. Ich finde den Look sehr unauffällig, aber gleichzeitig elegant, wenn sie einem doch ins Auge kommen.
Berthoud hat Modelle für jedermann, ob für Gravelbiking, Biketouring/Bikepacking oder Renn- und Stadträder. Für jeden ist etwas dabei. Der Sattel um den es heute geht, das Modell Marie Blanque, stammt aus der Touring Kategorie von Berthoud Cycles. Es gibt grob zwei Modelle. Diese sind von der Grundgeometrie ähnlich. Beide sind gleich breit und gibt es mit und ohne Cutout, aber sie unterscheiden sich in der Länge. Hier gibt es die klassische Länge 278mm oder eben das Modell Marie Blanque mit 248mm Länge. Lasst euch auf der Seite von Berthoud nicht verwirren, die Modelle im Touringbereich sind immer dieselben, aber haben verschiedenen Namen je nach Strebenmaterial und Länge.
Die Sattel sind nämlich immer in zwei Versionen verfügbar. Die etwas günstigere Variante mit Edelstrahlstreben oder die etwas leichtere, aber teurere Titanstreben Variante. Welche ich hiervon empfehle, lest ihr weiter unten.
Von der Verarbeitung und der Haptik war ich beim Auspacken sofort überzeugt. Der Sattel kommt gut verpackt in einem dreieckigen Karton an, der einen direkt mit dem typischen “frischem Ledergeruch” begrüßt. Die Verarbeitung ist wirklich sehr gut. Nirgends konnte ich irgendwelche schlecht verarbeiteten Stellen oder Ecken finden. Auch das Plastik, welches die Streben und das Leder hält, fühlt sich wertig an und überzeugt. Die Sattel werden in Frankreich in Handarbeit hergestellt. Wer das ganze mal im Schnelldurchlauf sehen möchte, hat hier ein Video dazu.
Ich habe mich als erstes für die Edelstahlvariante entschieden, da diese etwas wirtschaftlicher ist und es mir vor allem auf Dauerhaftigkeit ankommt. Damit möchte ich nicht sagen das Titan minderwertig ist, ganz und gar nicht. Titanstreben haben sogar den Vorteil, dass sie deutlich besser federn, da Titan weniger steif als Edelstahl ist (idR).
Der Sattel erscheint erstmal etwas breit. Bei anderen Herstellern, wie SQ Lab, gibt es dahingegen sehr viele verschiedenen Größen. Die Breite ist bei einem Ledersattel aber etwas zu vernachlässigen, da sich der Sattel auf jeden Fall an der richtigen Stelle einsitzt. Ich fahre normalerweise Sattel in einer Breite von 140mm und habe kein Problem mit der Breite. Ich habe mich für das kurze Modell entschieden, da ich dieses generell lieber mag. Wo nichts ist, kann auch nichts drücken. Aber das ist subjektiv, von daher finde ich es gut, dass Berthoud Beides anbietet.
Der erste Eindruck war tatsächlich gut, entgegen dem, was ich erwartet habe. Die Satteloberfläche ist am Anfang natürlich sehr steif und noch nicht auf die Sitzknochen angepasst, aber dennoch war es nicht unangenehm zu fahren. Eben einfach etwas härter. Ich habe den Sattel dann direkt, naiv wie ich bin, auf auf eine 700km Bikepackingtour durch die Wein- und Trüffelregion, dem Piemont mitgenommen. Warum naiv? Weil ein Ledersattel, je nach Modell und Hersteller einfach 500-1500km braucht um sich an die Sitzknochen anzupassen. Es kann schon auch möglich sein, dass ein Ledersattel die ersten Ausfahrten noch nicht sehr bequem ist, das sollte aber von Fahrt zu Fahrt besser werden. Ich hatte zum Glück keine Probleme auf der Tour und der Sattel wurde wirklich Tag für Tag immer bequemer. Am Ende der Tour würde ich sagen, war der Sattel zu 90% eingefahren. Die Oberfläche ist dann im Bereich der Sitzknochen etwas weicher und man hat den angenehmen Hängematteneffekt. Mittlerweile habe ich über 1500km im Sattel verbracht und er hat ein schönes Patina bekommen und ist wirklich sehr angenehm, mit oder ohne Radhose.
Daher sollte man von der Ausrichtung mit einem Ledersattel, aber speziell auch mit dem Marie Blanque, erstmal horizontal beginnen und ihn evtl. nach 1000-2000km ein wenig mit der Nase nach oben stellen. Somit gleicht man das Durchhängen von der Position her etwas aus.
Das klingt zwar alles bisher ziemlich rosig, aber so ein Sattel hat auch seine Nachteile. Leder will gepflegt werden. Auf der Tour war es jeden Tag sehr heiß, was bedeutet man schwitzt doch arg in den Sattel. Zum Einfahren war das bestimmt super, aber mit Feuchtigkeit und auch Regen sollte man vorsichtig sein. Das Leder verzieht sich nämlich, wenn es durchweicht und dann wieder trocknet. Es kann also sein, dass man hat einen perfekt eingefahrenen Sattel hat, aber sein Rad aus Versehen bei Regen ein paar Tage draußen stehen lässt. Danach trocknet der Sattel wieder, ist aber verzogen und man muss den Sattel wieder neu “einsitzen”. Von daher gilt es also den Sattel so trocken wie möglich zu halten. Dafür braucht es leider ein etwas uncooles Cover, damit er bei Regen und Schmuddelwetter trocken bleibt.
Zu trocken sollte er aber auch nicht werden, sonst wird die Oberfläche hart und spröde. Deswegen ist es wichtig, den Sattel sauber zu halten und ihn regelmäßig von beiden Seiten zu fetten um ihn geschmeidig zu halten.
POSITIV
Der Komfort ist, wenn eingefahren, wirklich sehr gut. Ich würde sogar schon das Wort perfekt benutzen
Er sollte fast jedem passen, da sich das Leder individuell an den Eigentümer und dessen Sitzknochenabstand mit der Zeit anpasst
Durch die kurze Länge sind viele verschiedene Positionen möglich, ohne das je etwas im Weg ist
NEUTRAL
Sattel aus Leder müssen gepflegt und vor Regen geschützt werden. Hier sollte man sich mit einem Regenschutz und einem guten Sattelfett bewaffnen
Der Sattel ist zwar vorgedehnt, muss aber für den vollen Komfort eingefahren werden, was 500-1500km benötigt
NEGATIV
Die Sattelstreben sind etwas kurz, ich finde diese sollten unbedingt mindestens 8cm sein um eine bessere Einstellbarkeit zu haben
FAZIT
Ich bin wirklich erfreut, dass ich den Sattel von Gilles Berthoud getestet habe. Der Komfort ist mittlerweile perferkt, da der Sattel eingefahren ist. Nichts zwickt oder drückt, wo es nicht sollte. Auch optisch finde ich ihm immer noch ansprechend und freue mich sogar auf noch mehr Patina. Er bringt auch deutlich mehr Charm ans Rad als ein herkömmlicher Sattel. Klar ist er materialbedingt kein Leichtgewicht, aber ich finde bei Kontaktpunkten darf man nicht aufs Gewicht schauen, sondern sollte das benutzen, was für einen persönlich funktioniert und komfortabel ist. Der Preis von 210 und 265€ ist auch nicht wenig, aber für einen Ledersattel, der in Frankreich in Handarbeit hergestellt wird, finde ich, ist es verkraftbar. Die Qualität ist dadurch auch deutlich höher.
Für mich bleibt der Sattel an meinem Rad und ich hoffe ich kann in der Zukunft auch mal die Titan Version testen und berichten ob sich diese lohnt. Ansonsten kann ich nur jedem empfehlen diesen Sattel zu testen, wenn man ein Faible für etwas Besonderes am Rad hat, auch wenn es etwas Pflege braucht.
Ein Triell der verschiedenen Satteltypen wird es in der Zukunft auch noch geben. Und damit verabschiede ich mich für heute. Guten Rutsch!