JUIN Tech GT testbericht
Heute schauen wir uns mal eine Chimäre aus der Komponentenwelt an. Die Juin Tech GT. Ein semi-hydraulischer Bremskörper mit 4-Bremskolben
Was das bedeuten soll und wie sich diese Bremsen gegenüber den klassischen Lösungen auf dem Markt schlagen, könnt ihr unten lesen:
Technische Daten:
4-Kolben Bremssattel (hydraulisch) mechanische Betätigung über Bowdenzug
Short-Pull-Hebel kompatibel (z.B. STI-Hebel)
Erhältlich in Flat Mount oder Post Mount
Preis 291€ (18.12.2023, Bikesmith.de, selber gekauft)
Ich bin das erste Mal durch einen Artikel von Bikepacking.com auf die Juin Techs gestoßen. In den USA werden diese unter der Marke Yokozuna vertrieben, kommen aber aus Taiwan von Juin Tech. Damals fand ich es einfach interessant, dass es so eine Bremse überhaupt gibt. Die Bremse wird über ein reguläres Bremskabel (also mechanisch) am Bremshebel betätigt, die Bremskolben innerhalb der Bremse werden aber hydraulisch betätigt.
Ein paar Jahre später habe ich mir dann mein Gravelbike selber gebaut, mit dem Ziel viel auf Gravel und auf Touren durch fremde Länder zu sein. Dazu sollten natürlich auch ein paar gute und verlässliche Bremsen mit an Bord sein. Meine Überlegung war damals relativ einfach. Das Rad soll wie die Schaltung relativ analog und einfach gehalten werden und was ist einfacher als mechanische Scheibenbremsen. Man betätigt den Bremshebel und der Zug am Bremszug führt dazu, dass die Bremskolben auf die Bremsscheibe drücken und man gebremst wird. In der Theorie ist das einfach und daher habe ich damals mit sehr einfachen TRP Spyre Bremsen begonnen, die ich noch übrig hatte. Nun gibt es viele, die hier schon einhacken möchten. Es gibt eine relativ große Fraktion, für die hydraulische Scheibenbremse völlig konkurrenzlos sind. Stärke Bremskraft, weniger benötigte Kraft am Bremshebel (Möglichkeit, mit 1-2 Fingern zu bremsen) und eine viel bessere Modulation der Bremskraft. Ich möchte diese Diskussion später in einem eigenen Beitrag etwas mehr Raum geben, von daher nehmen wir heute eine Abkürzung. Mir gibt eine mechanische Scheibenbremse ein besseres Gefühl, vor allem beim Bikepacken und auf Touren außerhalb der DACH-Regio. Warum? Weil ein Bremskabel quasi überall und in jedem Baumarkt erhältlich ist und innerhalb von 2 Minuten an meinem Rad ausgetauscht ist. Hingegen hat nicht jeder Radladen (alles schon selber erlebt) ein Bleed-Kit für hydraulische Bremsen. Zusammengefasst, ist mir die lowtech Variante für meine Trips lieber. Jetzt muss ich aber auch zugeben, dass mechanische Bremsen auch nicht fehlerfrei sind. Vor allem die TRP Spyre haben mich relativ schnell enttäuscht. Die Bremskraft ist so lala und die Einstellbarkeit ist an meinem Rahmen in der Kombination mit meiner Schaltung (SRAM GX Eagle) eher friemelig (Eine Schraube um den Abstand des inneren Bremsbelags einzustellen ist wegen der Größe der Kassette und der Position der Flat Mount Bremse nur schwer erreichbar). Also habe ich mich mit der Kreditkarte gezückt, umgeschaut und habe mir die Juin Tech GT bestellt. Mechanische Ansteuerung mit hydraulischer Bremskraft und Modulation? Ja, bitte, dachte ich mir. Aber kann die Bremse das Versprochene halten?
Aufbau
Die Juin Tech GT überzeugt finde ich mit einem sehr simplen aber durchdachten Aufbau. Sie ist ab Werk für 160 mm Bremsscheiben ausgelegt, was ich super finde, weil sind wir mal ehrlich, es gibt keinen Grund, Bremsscheiben unter 160 mm zu fahren. Daher kommt der Bremssattel (bei Flat-Mount) nativ ohne Adapter aus, was etwas aufgeräumter aussieht.
Mechanische Bremsen stellen den Abstand der Bremsbeläge im Gegensatz zu hydraulischen Bremsen nicht selber nach. Von daher muss man diesen alle paar hundert gefahrenen KM an der Schraube mit dem Orangen-Kopf (weiter nach innen) nachstellen. Das ist bei den GTs von Juin Techs wirklich super simpel gelöst und dauert in der Realität keine 10 Sekunden und muss auch wirklich nicht super oft gemacht werden. Hier kann man auch die Bremse nach seinem Gusto feintunen, da man, nachdem etwas vom Bremsbelag runter ist, die Länge, die der Hebel braucht, um die Bremse zu aktivieren, schön eingestellt werden kann.
Bremsbeläge können ganz normal & simpel gewechselt werden. Hierzu können als Ersatz dann die Shimano D Type Bremsbeläge genutzt werden.
Es ist ein Bleed-Port sichtbar, das System soll aber ohne Entlüften klarkommen. Vom Hersteller wird hier abgeraten, selber etwas zu machen. Hierzu später mehr.
Funktion
Schon direkt bei der ersten Fahrt war mir klar, dass die Juin Tech GT ihren doch recht hohen Preis wahrscheinlich wert ist. Scheibenbremsen (bzw. die Bremsbeläge) müssen normalerweise erstmal eingebremst werden, aber für mich hat die GT von der ersten Sekunde an perfekt funktioniert. Und wie sogar.
Die Bremskraft ist super. Man kann die Räder wirklich ohne riesigen Kraftaufwand komplett zum Blockieren bringen, was einem doch viel Vertrauen gibt, sollte man mal schnell zum Halt kommen müssen. Auch die Modulation ist ein Traum und ich nehme es mal vorweg, für mich bei weitem besser als bei hydraulischen Bremsen. Die Bremskraft kann wirklich schön moduliert werden und kommt schön gleichmäßig, auch 1-2 Fingerbremsen ist problemlos möglich. Hier tritt also wirklich der oben angesprochene Fall ein. Einfache mechanische Ansteuerung mit Hydraulischer Bremskraft und noch besserer Modulation.
Im Sommer dieses Jahres hatte ich aber leider auch Kontakt mit der Schattenseite von diesem System. Beim Bikepacken durch die Toscana ist die vordere Bremse bei einer steilen & längeren Abfahrt überhitzt und macht seitdem ein spezielles Geräusch beim Bremsen. Dieses Phänomen trat dann noch ein mal auf bei Aussentemperaturen von ca. 38° C und einer sehr steilen Abfahrt auf. Dadurch, dass es keinen Ausgleichsbehälter in der Bremse gibt, muss man auf das Thema Hitze achten. In meinem Fall hat sich die Bremsflüssigkeit so stark ausgedehnt, dass der vordere Bremssattel ohne meine Betätigung des Bremshebels angefangen hat zu bremsen. Das ist natürlich eigentlich der Super-GAU und ein K.-o.-Kriterium, aber bisher ist es nicht mehr vorgekommen und ich habe es auch immer im Blick. Im Netz gibt es ein paar wenige Berichte dazu, nie mit Unfällen, sondern ähnlich wie bei mir oben beschrieben. Als Lösung wird beschrieben, 1-2 Tropfen Bemsflüssigkeit aus dem Bremssattel zu lassen, um der Flüssigkeit etwas mehr Raum zu geben. Ich werde das mal in der Zukunft probieren, da ich mir relativ sicher bin, dass das das Problem lösen wird. Trotzdem limitiert dieses Phänomen mein Lob etwas. Also fassen wir mal zusammen.
Positiv
Sehr gute Bremskraft, die genauso gut ist wie jede hydraulische Bremse, die ich bisher fahren durfte.
Bessere Modulation der Bremskraft als bei hydraulischen Bremsen, für mich das beste Gefühl was ich am Bremshebel je hatte.
Einstellbarkeit der Bremsbeläge ist gut gelöst und kinderleicht
Optik ist schön aufgeräumt, da zumindest für die Flat Mount Variante keine Adapter gebraucht werden
Die Bremssättel sind sehr leicht (298 g für das Paar)
Negativ
Das System kann bei Hitze Probleme bekommen, dadurch wird man gezwungen, auf Abfahrten ein paar Pausen einzulegen, um den Bremsen etwas Zeit zu geben abzukühlen.
Sind mit 300 € für das Paar keinesfalls günstig
Sind auf einer Tour nicht (einfach) zu reparieren
Fazit
In meiner Brust schlagen zu den Juin Tech GT irgendwie zwei Herzen. Auf der einen Seite sind sie von der Benutzung her perfekt und ich würde liebend gerne schreiben, dass ich diese uneingeschränkt für alle empfehlen kann, aber das kann ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren. Ich denke, die GT ist ausschließlich etwas für erfahrene Fahrer, für die es kein Problem darstellt, etwas auf ihr Bremsverhalten zu achten und wissen, wann es Probleme geben könnte oder für diejenigen, die nicht oft 1000 Höhenmeter+ Abfahrten machen oder mit viel Gepäck unterwegs sind. Leider schade, da wir hier meiner Meinung nach sehr nah an der Perfektion dran sind. Ich werde dieses Feedback auch an Juin Tech weitergeben und hoffe, hier kommt evtl. in der Zukunft ein besseres System, welches auch das Problem mit der Hitze löst.
Ich hoffe, ihr hattet Spaß an meinem Test und wie immer, wenn es etwas gibt, was euch besonders interessiert, lasst es mich wissen.
Mit diesen Worten, frohes Neues und allen ein gesundes Jahr!